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Erinnerungen – Ansichten – Aussichten
Von der Suche nach verborgenen Schätzen
Geschichten rund um klingende Schränke gehören zu den prägenden Erinnerungen an meine
Kindheit. Neben dem Eingang zum Theatersaal des elterlichen Gasthauses Kreuz in Dürrenroth stand
diese stattliche Emmentaler-Hausorgel, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihrer ursprünglichen
Bestimmung beraubt wurde. Alle Pfeifen, sämtliche mechanischen Teile und die Tastatur wurden
entfernt. Welch Wunder, dass das geschnitzte, vergoldete Rankenwerk nicht angetastet wurde.
Der grosse Orgelkasten mit der Inschrift meines Ururgrossvaters «Johann Ulrich Flükiger, Müller zu
Dürrenroth 1830» war bereit, fortan als Vorratsschrank für Konfitüren, Eingemachtes und
Kartonschachteln zu dienen. Danach hat ein innovativer Handwerker aus den Orgelpfeifen eine
eindrückliche Marmelbahn konstruiert! Als ich in meinen Kindertagen Kunde von dieser Barbarei
erhielt, muss ich sehr betrübt gewesen sein, denn ich machte mich auf, die Überreste solch
lästerlichen Tuns zu finden. Die Spurensuche verlief ohne jeden Erfolg.
Aber im Unterweisungszimmer des Dorfschulhauses fand ich mein Glück: Eine richtige, klingende
Hausorgel! Deren Schranktüren zu öffnen, geschweige die niedlichen Tasten zu berühren, war den
Schulkindern unter Androhung drastischer Strafen untersagt. Das enttäuschte mich sehr, hatte aber
zur Folge, dass mein Interesse fortan allen Schränken galt, weil ich hinter den verschlossenen Türen
silberne Orgelpfeifen, vermutete.
Und noch heute, wenn ich wandernd unterwegs bin, halte ich in Bauernhofnähe stets Ausschau nach
Kaninchenställen, denn etliche dieser Behausungen liessen die Herkunft als ehemalige Orgelgehäuse
erahnen und in einigen Fällen sogar nachweisen. Im Zusammenhang mit meinen Erkundungswanderungen
erinnere ich mich an die unliebsamen Begegnungen mit zähnefletschenden Hofhunden.
Meine Liebe zu «klingenden Schränken» hat sich jedoch kaum verändert. Diese Werke klingen
faszinierend und begeistern mich ebenso durch ihr Aussehen, denn sie lassen sich gleichsam «mit
den Augen hören»! Viele dieser Orgelgehäuse zeichnen sich durch ausgewogene Massverhältnisse aus.
Sie sind, insbesondere im Toggenburg ornamental, bisweilen auch mit stilisierten Szenerien bemalt. Die
Berner Hausorgeln sind jedoch meist schlicht, aber wirkungsvoll holzfarben gefasst, vereinzelt mit
biedermeierlichen Blumengebinden bemalt, oder leuchten in den warmen, flammenden Farben der «Berner Rottöne»!
Die Spurensuche zum «Lebensweg» dieser Orgeln ist ein heikles Unterfangen. Den Hausorgeln wurden
wegen Erbgängen und Vorlieben der wechselnden Besitzer häufige Standortwechsel zugemutet, die in den
wenigsten Fällen schriftlich dokumentiert wurden. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. schwand das Interesse an
der Hausorgel. Besaitete Tasteninstrumente und das Harmonium traten an deren Stelle. Zudem fehlten die
Handwerker, welche die Instrumente zu flicken verstanden. Und schliesslich sind auch Mäuse und allerhand
Ungeziefer zu nennen, die den Innereien der Orgel zusetzten. Dem zweckentfremdeten Gebrauch stand
nichts mehr im Wege: Die Geschichte der attraktiven Dürrenrother Marmelbahn ist bekannt, ebenso die
Verwendung des Gehäuses als Spirituosenschrank, oder als diskreter Ort für TV, Stereo-Anlage und
Medikamentenablage! Die Folgen solcher Wandlungen stellen Forschende vor die schier unlösbare Aufgabe,
die «Geschichte der Hausorgel» lückenlos zu ergründen.
Auch ich erlebe meinen Einsatz für das Wohlerklingen der Hausorgeln als Suche nach einem verborgenen
Geheimnis. Vielleicht entspricht es meiner Eigenart, dem Unscheinbaren Raum zu geben, den Kleinigkeiten
nachzuspüren, hinzuhorchen auf Zwischentöne, den Reichtum der Dialekte zu erkennen und das Grosse im
Kleinen zu achten. Denn jedes Instrument hat seine individuelle «Gangart»: Deutlich engere Tastenmensuren
als diejenigen moderner Instrumente mit genormten Klaviaturen erfordern ein äusserst achtsames «Toucher», bei dem jede überflüssige Bewegung der «Handwerkzeuge» zu vermeiden ist, vergleichbar mit
dem Spiel am Clavichord. Derart kontrolliertes «An-Tasten» fördert die Aufmerksamkeit des Hin-Hörens und
ermöglicht ein Zwiegespräch, bei dem jedes Wort auf seine Wichtigkeit hin gewogen wird.
Und jetzt noch das: Der Blasebalg! Zum Glück gibt es sie noch, die Hausorgeln, deren Tretvorrichtung
dem Transport der benötigten Windmenge zum «Speisen» der Windlade dient. Hier ist Fussarbeit gefragt!
Je nachdem wo sich die Trethebel befinden, sorgt der linke oder rechte Fuss dafür, dass das benötigte
Quantum an Orgelwind in die Windlade strömt. Dies geschieht aber nicht «im Takt» der Musik,
sondern nach «Bedarf». Die jeweils passende Dosis des Windes richtet sich nach dem Zustand des
belederten Faltenbalges, aus dessen Rissen gar oft wertvolle «Nahrung» zur «Speisung» des
Pfeifenwerks entweicht. Bei übermässiger Windzufuhr hingegen reagiert das überforderte Balgsystem
mit Zittern und Stöhnen. Ein Zuwenig dieser kostbaren «Gabe» hingegen lässt die Spielerin vor
Schreck erblassen, dieweil die Zuhörenden eine solche Panne meist mit Schmunzeln quittieren. Das
Spiel mit dem Wind muss fleissig geübt werden, damit die Füsse wissen, was die Hände tun. Auf
diese Weise verbindet sich der Wind mit den Erzählungen der geschwätzigen und singenden
Klappertasten. Wenn diese Anforderungen erfüllt sind, vereinen sich helle Prinzipale, die munteren
Flöten, auftrumpfende Oktaven und kecke Aliquotstimmen zu gemeinsamem Tun, und lassen hören,
wie wohlgefällig es klingt, wenn nach Herzenslust musiziert wird.
Zum Spiel eignet sich vieles, der «bon goût» entscheidet, welche Musik diesen Orgeln zugemutet
werden darf. Vorerst aber diente die Hausorgel zum Begleiten des geistlichen Liedgutes. Der Weg
zum weltlichen Repertoire war nicht weit. Kundige Finger werden solche Gesänge aus dem Stegreif
mit passenden Harmonien ergänzt haben. Traditionelle Melodien erhielten von frei fantasierenden
Musikanten ein variationenreiches Gewand.
Im Zeitraum von 1750 bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts werden zahlreiche neue Orgeln gebaut.
Die Schulmeister werden zum kirchlichen Orgeldienst verpflichtet. Die Lehrer wussten es zu schätzen,
wenn ihnen eine Hausorgel als Übungsinstrument zur Verfügung gestellt wurde. Hier erarbeiteten sie
sich ein Repertoire mit kurzen «Stücken für die Landorganisten» des reisenden Musikanten und
beliebten Pädagogen Martin Vogt (1781 – 1854), kleine Kompositionen des Berner Münster-
Organisten Johann Jakob Mendel (1808 – 1881), oder spielten Stücke aus gedruckten
Notensammlungen deutscher Herkunft. Weite Verbreitung fand das Orgelbuch des Burgdorfer
Organisten Agathon Billeter (1834 – 1881), der in diesem «Präludien und Postludienbuch» Beiträge
namhafter Komponisten des 19. Jh. und viele Klangproben einheimischer Musiker publizierte. Der
praktische Organist scheute sich indessen nicht, eigene Kurzfassungen der längeren Stücke zu
machen. Der Dürrenrother Organist Arnold Christen (1875 – 1960) verdankte zahlreiche seiner
musikalischen Ideen dem «Langnau-Märit», wo er beim Anhören der feilgebotenen Schallplatten
nachhaltige Anregungen für sein stets improvisiertes, sonntägliches Orgelspiel erhielt. Dennoch fand
ich auch einige Stücke aus seiner Feder, die meinen HörerInnen ganz besonders gefallen. Gerne
erinnere ich auch an den «Musicalischen Kirchenschatz» des Berner Münster-Organisten Johann
Martin Spiess (1696 – 1772), der seine zahlreichen Kompositionen zum «nützlichen Haus- und Kirch--
gebrauch» empfiehlt. Aus dem Nachlass der Berner Patrizierin Madame de Meuron stammen zwei
Notenbücher, die von zwei anonymen Autoren für den Clavierunterricht der Sophie von Frisching
(1793 – 1854) komponiert wurden. Die Claviersammlungen der «Redoutentänze» und der «Danses
Bernoises» klingen an einer Hausorgel, dem Orgelpositiv oder der grossen Kirchenorgel vorzüglich.
Zudem eignen sich diese Kompositionen anonymer Herkunft sogar als Ensemble-Arrangements für
Streichinstrumente und allerlei Bläser. In diesen Berner Manuskripten sind Stücke verzeichnet, denen
ich auch in Notensammlungen aus dem Toggenburg, dem Zürichbiet und in Heften Süddeutscher/ Österreichischer- und Bündnerischer Herkunft begegnet bin. Und wenn ich den Hausorgeln eine
besondere Freude bereiten will, lasse ich sie zu den Klängen der «schlääzigen» Appenzellerweisen
tanzen.
Dieser Bericht beabsichtigt, meine innige Verbindung mit den Hausorgeln in Worten abzubilden. Was
jedoch Worte nicht vermögen, wird dem Klang anvertraut, damit das Unerklärbare einer solchen Liebe
als vielstimmiges Lob erklingen kann.
Annerös Hulliger
20. Oktober 2014
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Spielende Gedanken und wahre Geschichten rund um die Hausorgeln
Ein Thema mit Variationen
Der gerettete Klang
Meine Hinwendung zu den Hausorgeln ist nicht zufällig. Die klangliche Abbildung der 21 Hausorgeln steht in enger Verbindung mit meiner Liebe zu den «klingenden Schränken», die mich seit Kindertagen begleiten. Sie faszinieren mich auch nach vielen Lehr- und Wanderjahren in den heimatlichen Orgellandschaften stets aufs Neue. Heute erinnere ich mich an meine erste Begegnung mit einer Emmentaler Hausorgel, wie ich mich als Dreikäsehoch auf den Weg treppauf zum Theater-saal im elterlichen Gasthaus Kreuz in Dürrenroth machte, um es in der düsteren Ecke zu erspähen, dieses Orgelgehäuse mit den Insignien meines Urahns, der diese Orgel 1830 erwarb.
Nun aber lagerten im Innern des umfunktionierten Orgelschrankes auf Tablaren allerhand Spezereien, deren Aussehen bisweilen eigenartige bis furchterregende Assoziationen auslösten.
Damals konnte ich nicht wissen, dass aus den Orgelpfeifen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine eindrückliche Marmelbahn gefertigt wurde. Vergeblich habe ich später nach den Überresten dieser «Barbarei» gesucht. Anschaulichen Trost bereitete die erhaltene vergoldete Verzierung mit dem Engelsköpfchen, umrankt von Blattwerk und Blumenknospen. Erst nach und nach begriff ich, wie der geheimnisvolle Schrank zu seinem Namen kam. Hinter dem Ausdruck «Torgele» verbarg sich die Erinnerung meiner elterlichen Begleiterinnen an die stattliche Emmentaler Hausorgel des Johann Ulrich Flükiger 1757-1832, Müller zu Dürrenroth. Dieser Verlust betrübte mich sehr. Das Spiel auf den drei Klavieren im Stübli, Speisesaal und Schlafgemach war kein Ersatz für den verlorenen Hausorgelklang, den meine Phantasie vielstimmig und buntleuchtend abzubilden glaubte.
Das Glück des geretteten Klanges fand ich dann bei meinem Schuleintritt im Unterweisungszimmer des Schulhauses. Hier stand ein schön gezimmerter Schrank, dessen geöffnete Türen den Blick auf silbern glänzende, fein verzierte Pfeifen und eine sorgfältig gefertigte Tastatur lenkten. Ich erinnere mich an das Erklingen der zart singenden Pfeifen, an das Gefühl der geschwätzig klappernden Tasten. Dazu gesellte sich die Wonne, dass es mir hier gelang, diesen Tasten meine «Lieder» anzuvertrauen.
Seither habe ich sie immer wieder gesucht, diese kleinen schmucken Orgeln, deren individuelle Ausprägungen an das Können ihrer Erbauer erinnern, welche mit handwerklichem Geschick und Achtung für die traditionelle Überlieferung dem Grossen im Kleinen ihre Ehre erwiesen.
Hinweise zur Geschichte der Hausorgeln in der Schweiz
1. Hausorgeln im städtischen Bürger¬haus und in geistlichen Kammern vom 15. zum 18. Jahrhundert
Hausorgeln sind in der Schweiz seit dem späten 15. Jahrhundert bekannt. Diese Instrumente fanden in städtischen Bürgerhäusern grosse Verbrei¬tung. Als auf Geheiss des Züricher Refor¬mators Huldrych Zwingli 1484 -1531 die Orgeln 1524 aus den Kirchen verbannt wurden, verlagerte sich die Pflege der Musik in private Räume, zu deren Ausstattung oft eine Orgel gehörte. So behaupteten die «kleinen» Orgeln (Positive und Regale) ihren Platz im Haus wohlhabender Bürger auch in nachreformatorischer Zeit.
Die Hausorgeln des 17. Jahrhunderts, durch süddeutsche Meister erstellt, erfüllten ihre Aufgabe vor allem zur Begleitung des Gesanges. Es muss ein besonderes Vergnügen gewesen sein, in privaten Kreisen die Psalmen mit Orgelbegleitung zu singen, zumal die kirchlichen Behörden ab 1598 das einstimmige Singen der Psalmen duldeten, das instrumentale Begleiten des Gesanges
jedoch weiterhin verboten. Schliesslich entwickelte sich das «private Singvergnügen» in den Räumen der städtischen Musikgesellschaften, den «collegiae musicae» um1650 zum vierstimmigen Gesang, und gewiss wurde bisweilen auch weltlich musiziert. So schildert Salomon Hirzel 1663 in seinem Tagebuch, wie er im Festsaal, als er anlässlich der Begegnung mit seiner Braut die Hausorgel spielte, «ein wenig auf dem Positiv machte».
Die Obrigkeit erlaubte das Orgelspiel im privaten Bereich unter der Bedingung, die Hausorgeln nicht in gottesdienstlichen Versammlungen zum Erklingen zu bringen. Wer sich dieser Verordnung widersetzte, wurde hart bestraft. Als der Zürcher Jakob Rathgeb im Jahre 1716 pietistische Zusammenkünfte durchführte, begleitete er den frommen Gesang auf seiner Hausorgel. Die Strafe liess nicht auf sich warten, sein Orgelpositiv, «damit er einfalte und unberichtete Leut an sich gezogen» wurde beschlagnahmt.
Dass sich die Hausorgeln jedoch grosser Beliebtheit erfreuten, zeigten zahlreiche Werke der Orgelbauer Johann Jakob Messmer 1648 - 1707, Rheineck und Johann Konrad Speisegger 1699 - 1781 aus Schaffhausen und weiterer Meister aus dem Süddeutschen Raum, deren Hausorgeln die Säle der Zürcher Kollegien zierten, die privaten Repräsentationsräume der vornehmen Bürgerfamilien schmückten, städtische und ländliche Schulstuben bereicherten. Mit zunehmendem Interesse für Spinette, Cembali und Hammerklaviere wurden die Hausorgeln in der zweiten Hälfte des 18. Jh. nach und nach verdrängt. Verkaufshinweise im «Zürcherischen Wochenblatt» oder dem «Sonntagsblatt» priesen die Vorzüge der Orgel aus schulmeisterlichem Besitz. Ebenso trennten sich Musikgesellschaften und private Besitzer von ihren Hausorgeln.
2. Hausorgeln aus dem Toggenburg und dem Appenzellischen
Wenn sich Johann Heinrich Tschudi in seinen «Monatsgesprächen» im Jahre 1716 für das Wiedererklingen einer «wohlgefälligen Kirchenmusik» im reformierten Gottesdienst der Ostschweiz einsetzt, erinnert er im besonderen an die Vorzüge des Orgelklanges, denn «gerade beim Orgelklang dichte das Herz eine Ode göttlichen Lobes nach der andern». Es waren aber vor allem pietistische Strömungen, die den Boden für den Einzug der Hausorgeln in die Firstkammern des Toggenburger Bauern und Handwerkers vorbereiteten. Hier fanden Hausandachten statt, die nicht so sehr «wissenschaftliche Gelehrsamkeit» als vielmehr «persönliche Erweckung» in den Mittelpunkt der bilderreichen und sinnenfreudigen Predigten stellten. Es wurde aus geistlichen Lie-derbüchern gesungen, auf deren Vorsatzblättern in Kupfer gestochene Orgeln abgebildet waren. Diese Ansichten mögen auch mitgeholfen haben, die Orgel Im Bewusstsein der Bevölkerung wieder zu verankern und den Wiedereinzug der Orgeln in Kirche und Haus vorzubereiten.
Die wichtigsten Erbauer der Toggenburgischen Orgeln sind bekannt. Wendelin Looser 1720 -1790 aus Blomberg bei Ebnat-Kappel SG richtete seine Werkstätte oben in der hochgewölbten First-kammer seines Wohnhauses ein. Hinweise zur Ausbildung Loosers als Orgelbauer konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Loosers grosser Vorrat an Papier-Tastenblättchen mit der Jahrzahl 1710 könnten zumindest auf eine Zusamrnenarbeit mit einem erfahrenen Lehrmeister schliessen. Die Ähnlichkeit früher Werke Wendelin Loosers mit Orgeln aus der Werkstätte Speiseggers nähren diese Vermutung. W. Looser signierte und datierte seine Werke aus den Jahren 1757-1781 in der Windlade und auf der reich ziselierten Pfeife in der Mitte des symmetrisch angelegten drei- oder fünfteiligen Prospektes.
Wendelin Loosers Sohn Joseph Looser 1749 -1822 führte die Tradition seines Vaters weiter und baute gegen 50 Orgeln, über deren Verkauf er in seinem «Rechenbuch» berichtet; eine köstliche Sammlung nützlicher Eintragungen zu politischen, wirtschaftlichen Verhältnissen, zum Haus- und Orgelbau und probaten Rezepten für die Pflege der Nutztiere und des Haushaltes.
Zu den Merkmalen der Looser-Orgeln zählen die versetzten Gesimse, welche die drei- oder fünffeldrigen Prospekte bekrönen, die ornamentale, prächtige Bemalung des Gehäuses mit den Flügeltüren, die Balganlage im Unterbau, die vorderständige Anordnung der 4-6 Registerschieber, der bäurisch heitere Klang und der Tonumfang von C bis c3.
Aus Hemberg stammt Hans Melchior Grob 1754-1832, dessen Hausorgelprospekt im Haus zum «Alten Acker» (Wildhaus SG) abweichend zur Bauweise der Looser-Orgeln mit einem dominierenden Rundturm in der Mitte und elegant geschwungenen Seitenfeldern gestaltet ist. Der versierte Kunsthand-werker verzichtete auf die Bemalung des Orgelkastens, dafür setzte er all sein Können ein, die Orgel mit einem funktionsfähigen Zungenregister auszustatten. Dass diese Orgel trotz argen Beschädi-gungen im ersten Drittel des 20. Jahrhundert und nach Brandfällen in späterer Zeit überleben konnte, ist den sachkundigen Restauratoren und der liebevollen Sorge ihrer heutigen Besitzer zu verdanken.
Im Gegensatz zum gut dokumentierten Hausorgelbau im Toggenburg sind im reformierten Halbkanton Ausserrhoden die Orgelbauer nicht namentlich bekannt. Nur wenige dieser Hausorgeln sind erhalten. Die reich bemalten Orgelgehäuse mit phantasievollen Landschaftsdarstellungen, Abbildungen häus-lichen Musizierens, dekorativen Flügelmedaillons haben im Unterschied zu den Toggenburger-orgeln Registerschieber, die senkrecht angelegt wurden; ein Hinweis dafür, dass die Erbauer der Appenzellerorgeln durch andere Lehrmeister unterwiesen wurden.
3. Zur Geschichte der Berner Hausorgeln
Im Emmental und den angrenzenden Gebieten gelangten im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert zahlreiche Hausorgeln in den Besitz wohlhabender Bauern, oder fanden den Weg in die Wohnstube und das Schulzimmer der Dorfschulmeister. Die Entwicklung steht im Zusammenhang mit der wachsenden Musikbegeisterung, die mit der Wiedereinführung der Orgeln als Folge der Aufhebung des in der Reformationszeit verhängten Orgelverbotes in den Bernischen Kirchen einsetzte. Zahlreiche Orgelmacher sind bekannt, welche sich dem Bau von Hausorgeln widmeten. Dabei konnte bisher nur die Hausorgel in der Kirche Münsingen dank einer Inschrift in der Windlade ihrem Erbauer zugewiesen werden: «Diese Orgel wurde gebaut im Jahre 1778 von Orgelbauer Müller auf dem Kurzenberg, nun auf Bestellung von Herrn Waber, Landwierd auf dem Kemi bei Zäziwil».
Aufgrund typologischer Vergleiche können andere Orgeln ihren mutmasslichen Erbauern zugewiesen werden. Es ist anzunehmen, dass diese Orgelbauer, (u. a. Peter Schärer 1739 -1797 Sumiswald, Jakob Rothenbühler 1742 - ca. 1804 Trubschachen, Kaspar Bärtschi 1751-1831 Sumiswald, Johann Jakob Weber 1756 -1832 Seeberg und Mathias Schneider 1775-1838 Trubschachen) ihre Kenntnisse den auswärtigen Orgelbauern (Innerschweiz, Süddeutschland, französische Schweiz) verdanken, welche beim Erstellen der neuen nachreformatorischen Kirchenorgeln einheimische Hilfskräfte in die Kunst des Orgelbaues einführten. So bauten 19 namentlich bekannte bernische Orgelmacher zwischen 1770 und 1870 mehr als zweihundert Hausorgeln!
Die Berner Hausorgel erinnert mit dem durchlaufenden Kranzgesimse und in geschlossenem Zustand an einen Bauernschrank. Im Unterbau befindet sich die Balganlage. Wenn die doppelflügligen Türen des Oberbaus geöffnet werden, fällt der Blick auf den Orgelprospekt mit seiner typischen Einteilung in drei Pfeifenfelder, wobei das mittlere Feld als hochgestelltes Rundtürmchen gestaltet ist. Als Besonderheit dieses Orgeltyps bilden die Pfeifenfüsse der beiden Seitenfelder eine nach aussen hin abfallende Linie. So entsteht das trapezförmige Stirnbrett, das zur Platzierung des Notenbrettes ausreichend Raum bietet. Als besondere Bereicherung des Prospektes erscheint an zwei Orgeln des Orgelbauers Müller vom Kurzenberg ein zusätzliches pyramidal angeordnetes zierlich kleines Pfeifenfeld. Diese Erweiterung und von der Regel abweichende Aufstellungen der Prospektpfeifen in horizontaler Anlage (0rgel in Kleinhöchstetten) weisen darauf hin, dass der einheimische Orgelbau auch Anregungen auswärtiger Orgelbautraditionen mit eigenen Erkenntnissen zu vereinen vermochte.
Das Klangbild der Hausorgeln ist hell und singend, was nicht zuletzt dem Prinzipal 8' zu verdanken ist, der in der Disposition der Müller Orgel in Münsingen bis zum Dis nachgewiesen werden kann, wogegen dieses Prinzipalregister sonst vor allem in der Diskantlage zur besseren Unterstützung der obersten Gesangsstimme wurde.
Trotz des grossen Aufschwunges der Hausorgeln sind heute nur wenige Instrumente erhalten:
Im ausgehenden 19. Jh. verschob sich das Interesse für die Hausorgeln zugunsten der neuen zeitgemässen Tasteninstrumente: Klavier und Harmonium. Werkteile der Orgeln wurden zweckent-fremdet weiterverwendet, die zinnernen Orgelpfeifen aus der Hausorgel meines Urahnen Johann Ulrich Flükiger 1757-1838, Müller zu Dürrenroth wurden von meinen Grosseltern zu eindrücklichen Marmelbahnen umfunktioniert. Der leere Orgelschrank wurde zum idealen Vorratsraum für Wäsche und Konfitüren, und ebenso wüssten Kaninchen von ihrem komfortablen Aufenthalt in umgebauten Orgelschränken zu berichten!
Die Kunde über die neuen Klaviermoden erreichten auch die Engel im Himmel. Sie weigerten sich deshalb, dem Berner Boden weitere Besuche abzustatten!
Jeremias Gotthelf 1797-1854, der Dichter-Pfarrer aus Lützelflüh kennt deren Gründe und berichtet: «Man klagt, der liebe Gott schicke keine Engel mehr auf Erden, wisst ihr warum, ihr lieben Leute? Das ist wegen des entsetzlichen Klavierens, das zu Stadt und Land fast in jedem Haus in Schwung gekommen, davon alle Wände zittern, wie die Mauern von Jericho von den Posaunen. |
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Hausorgeln – Klingende Wunderschränke,
von Annerös Hulliger Eine musikalische Reise mit Annerös Hulliger Im März 2008 erscheint unter
dem vom Migros Kulturprozent betriebenen Label „Musiques Suisses“
die 3-er CD Box „Schweizer Hausorgeln vom 17. bis 20. Jahrhundert“. Die
Reise führt vom Bündnerland ins Toggenburg, macht Halt im Appenzellischen,
besucht Basel, verweilt im Kanton Bern und macht einen Ausflug nach Prangins.
Dabei erklingen während dreieinhalb Stunden musikalische Raritäten. Das
90-seitige Booklet enthält farbige Abbildungen der Orgeln. Annerös
Hulliger’s Texte befassen sich mit der Geschichte der Hausorgeln, den
Erläuterungen zur Musik und ihrer Beziehung zu den klingenden Schränken. „Huusmusig“
hat mit der Organistin Annerös Hulliger, der Initiantin und verantwortlichen
Gestalterin des Projektes ein Gespräch geführt. Annerös Hulliger,
woher kommt Ihre Begeisterung für die Hausorgeln?
Ich wuchs in einem Gasthaus in Dürrenroth auf. Im Saal, Stübli und
Schlafzimmer standen drei Klaviere, die mich seit Kindsbeinen faszinierten.
Meine Eltern waren als Wirtsleute sehr beschäftigt, da blieb kaum Zeit zum
gemeinsamen Spiel, doch sie erkannten meine Leidenschaft fürs Musizieren und
ermöglichten den Besuch von Klavierstunden, was für eine Erstklässlerin
damals recht ungewöhnlich war.
Im Unterweisungszimmer des Dorfschulhauses begegnete ich erstmals einer
Hausorgel. Sie zu spielen war den Schulkindern untersagt. Das betrübte mich
sehr, hat aber wohl bewirkt, dass mein Interesse fortan allen Schränken
galt, weil ich hinter den verschlossenen Türen silberne Orgelpfeifen und
klappernde Tastaturen vermutete!
Auch in unserem Gasthof stand in vergessenem Winkel so ein spezieller
Schrank: Die vollständig „ausgeweidete“ Hausorgel meines Ururgrossvaters,
die im 20. Jahrhundert als Vorratsschrank für Confiture und „Eingemachtes“
diente. Aus den Pfeifen konstruierte ein findiger Kopf eine eindrückliche
Marmelbahn, die ich allerdings nur aus Schilderungen meiner Mutter und ihrer
Schwester vor meinem inneren Auge „sah“, doch hielt ich in Kindertagen sogar
Ausschau nach Ueberresten dieses Spielzeuges …., auf der Suche nach der
alten Hausorgel! Also eher eine prosaische Begegnung?
Ja, das ist richtig. Umso mehr galt mein Interesse der Musik, schliesslich
probte im Theatersaal die Blasmusik, in der Gaststube wurde gesungen, hie
und da logierten „echte Musiker“ in unserem Haus, deren Spiel mich
begeisterte und mich zum Ueben anspornte. Später habe ich unsere Gäste nach
den üppigen Mahlzeiten mit meinen Klavierspielereien ab Noten und frei
fantasierend unterhalten. Hier reifte mein Wunsch, die Musik dereinst zu
meinem Beruf zu machen.
Und dazu kam es nicht?
Vorerst nicht. Denn der damals übliche „Frauenweg“ sah anders aus:
Vielleicht Hotelsekretärin, eventuell Stewardess oder Primarlehrerin. So
besuchte ich in Bern das Seminar. Dort interessierten mich vor allem die
musischen Bereiche, Schönschreiben und Sport, was von den entsprechenden
Lehrern auch wohlwollend gefördert wurde. Mein Wunsch, nach dem Seminar
Musik und Sport zu studieren, erfüllte sich vorerst nicht, denn ich musste
meinen Lebensunterhalt verdienen.
Vier Jahre arbeitete ich als Lehrerin und widmete die Freizeit dem
Orientierungslauf und dem Orgelspiel, wo mein Orgellehrer Edwin Peter
prägende nachhaltige Eindrücke vermittelte.
Erst die Heirat mit Dieter Hulliger erlöste mich vom Schulmeisterdasein.
Jetzt war die Zeit da, das langersehnte Musikstudium nachzuholen!
Zurück zu Ihrem jetzigen Projekt: Die CD Einspielung „Schweizerische
Hausorgeln“. Wie kam es dazu?
Ex Libris ermöglichte mir 1987 eine Einspielung zum Thema „Die Orgel im
Berner Bauernhaus“. Bis vor Jahresfrist war diese Musik auf dem Markt
präsent. Nachdem ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten zahlreiche
Aufnahmen von bedeutenden Schweizer Orgeln realisiert hatte, reifte der
Entschluss, mich nochmals mit den Hausorgeln zu befassen, den Blick über das
Bernbiet hinaus zu richten, all die andern Orgeln zu entdecken, die mir wohl
bekannt waren, deren Klang mir vorerst verborgen blieb. Ihr Werk
umfasst drei CD’s. Warum sind es gerade drei?
Das Konzept mit drei CD’s ermöglichte eine ordnende Uebersicht zur
Darstellung der verschiedenen Orgeltypen schweizerischen Hausorgelbaus vom
17. – 20. Jahrhundert. Auf der ersten CD erklingen Orgeln aus städtischen
Bürgerhäusern und geistlichen Hauskapellen aus dem späten 17. und dem frühen
18. Jahrhundert. Dabei erklingen Partituren aus dem Repertoire der damaligen
Zeit und handschriftliche Raritäten. Die zweite CD steht im Zeichen des
Tanzes, erinnert an Klänge aus der Natur und ist den Orgeln Graubündens, des
Toggenburgs und dem Appenzell gewidmet. Die dritte CD befasst sich mit den
Berner Hausorgeln. Dabei erklingt Bernische Musik von Niklaus Kaesermann,
Stücke eines Dürrenrother Landorganisten, Trouvaillen aus dem Umfeld der
legendären Berner Madame De Meuron, Anonymes und Notensetzereien von mir
(Variationen zum Guggisbergerlied) und als Höhepunkt Musik für vier Hände
und zwei Orgeln im Zusammenwirken mit Regula Hulliger. Die
Hausorgeln faszinieren ja nicht nur als Klanginstrumente sondern auch durch
ihre äussere Gestalt.
Ganz richtig, Hausorgeln sind eine Augenweide! Sie lassen sich gleichsam
„mit den Augen hören“! Zahlreiche Orgelgehäuse zeichnen sich durch
ornamentale und figürliche Bemalung aus. Berner Hausorgeln sind meist
schlicht aber wirkungsvoll holzfarben gefasst oder leuchten in den warmen
„Berner Rottönen“. Wie sind Sie vorgegangen, dieses gewaltige
Projekt zu meistern?
Meine Arbeit als Interpretin wird genährt durch meine Lust am Suchen
und Finden von Partituren abseits des bekannten Repertoires. Nach und nach
fügten sich die Kompositionen mit den selektionierten Orgeln zu einem
stimmungsvollen Ganzen. Danach begann der schönste Teil: Ueben! Ueben! Dafür
standen mir mein Clavichord und das Tafelclavier zur Verfügung. Später
setzte die „Feldarbeit“ an den 21 favorisierten Orgeln ein. Dabei wurden mir
die schmucken Hausorgeln zu unerbittlich fordernden Lehrmeisterinnen, denn
jede dieser Orgeln hat ihre ganz persönliche „Gangart“, vor allem im
Hinblick auf die Tongestaltung, denn das feine „Toucher“ erfordert höchste
Sensibilität. Zudem musste ich bei zahlreichen Orgeln den Blasebalg während
des Spiels mit dem Fuss bedienen. Daraus resultierte ein durch und durch
atmendes Spiel mit den geschwätzigen oder gar klappernd singenden Tasten.
Und schliesslich nach den zeitaufwändigen Vorbereitungen die „Kür“ des
Unterwegseins mit dem Tonmeister zur Realisierung der Aufnahmen.
Alles in Allem: Eine spannende, herausfordernde Arbeit hat mich ein gutes
Jahr lang in Atem gehalten. Diese lange Dauer habe ich als geschenkte Zeit
erfahren und dabei festgestellt, wie sehr Konzentration auf Wesentliches zu
innerer Freiheit führt! Und nun sind sie bereit zum Hören und Sehen, all
die Orgeln, die mir ihre Geschichten anvertrauten. Ein grosses Lob verdient
mein Tonmeister Daniel Scheidegger, der die Orgeln möglichst natürlich
„abbildete“. Es galt, die akustischen Gegebenheiten in den grossen und
kleinen Kirchen,Museumsräumlichkeiten und Wohnstuben nicht zu verfälschen.
Problematisch wurde es, wenn sirrende Sägen, bellende Hunde, krähende Hähne,
dröhnende Staubsauger und surrende Fliegen ihr Unwesen trieben.
Heute erinnere ich mich mit Freude an das schier grenzenlose Glück um das
Wohlerklingen dieser Hausorgeln. Türen zu vergangenen Zeiten öffneten sich
und ermöglichten mir einen Weg, der zu neuen Erkenntnissen rund um das
Wohlerklingen der Königin der Instrumente und ihrer kleinen Prinzessinnen
führte. (Interview aus „Huusmusig“,Hauszeitung des Musikhauses Krompholz in Bern)
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